«Ich klopfe auf den Tisch und dann machen wir das»

Präsident Carrosserie Suisse

«Ich klopfe auf den Tisch und dann machen wir das»

15. April 2021 agvs-upsa.ch – Felix Wyss ist Präsident von Carrosserie Suisse und Inhaber der Aarauer Carrosserie Werke AG. Wie er den Verband strategisch aufstellen möchte, wie seine Branche durch die Pandemie gekommen ist und was er von den bundesrätlichen Massnahmen gegen Covid-19 hält, erklärt der Unternehmer im Interview mit den AGVS-Medien. 

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«Der Verband muss geführt werden wie ein Unternehmen»: Felix Wyss, Präsident von Carrosserie Suisse. Foto: AGVS-Medien

Herr Wyss, das Autogewerbe ist bislang mit einem blauen Auge durch die Corona-Pandemie gekommen. Wie ist die Stimmung bei den Carrossiers?
Felix Wyss, Präsident Carrosserie Suisse:
Der Verkehr ist während des Lockdowns zusammengebrochen. Es gibt zahlreiche Betriebe, die seit März nicht mehr richtig in Fahrt gekommen sind und heute wieder Kurzarbeit haben. Dabei stellen wir regionale Unterschiede fest. Die Romandie und das Tessin hat es härter getroffen als die Deutschschweiz. Ich war kürzlich im Tessin und habe dort zwei Betriebe besucht: Einer lief gut, der andere Inhaber erzählte mir, er rufe am Donnerstag seine Mitarbeitenden an, ob sie am Montag zur Arbeit kommen sollen  oder nicht. Am besten geht es den Ostschweizer Kantonen.

Warum?
Das dürfte mit dem Tourismus zu tun haben. Die Touristenregionen sind ausgelastet – die Bündner beispielsweise waren im Winter voll in Fahrt. Da sieht es im Tessin ganz anders aus. Dort fehlen die Feriengäste. Und schauen Sie mal den Flughafen Kloten an: Die Autovermietung ist praktisch zum Erliegen gekommen. Auch das spürt unsere Branche. Und wer seine Kunden vor allem in den Städten hat, der hat grössere Probleme als auf dem Land. Ein Beispiel: Die Hotelauslastung in Luzern liegt bei 12 Prozent. Vor der Pandemie waren es 85 Prozent. Das bedeutet, dass beispielsweise die Handwerker viel weniger unterwegs sind.

Wie sieht es in Ihrer Unternehmung ACW AG in Aarau aus?
Das einzige Problem ist, dass die Agenda zusammengebrochen ist: Vor der Pandemie hatten wir Aufträge für die nächsten zwei bis drei Wochen in den Büchern, heute arbeiten wir zwar immer noch 100 Prozent, aber die Aufträge kommen viel kurzfristiger. Wir leben von der Hand in den Mund. 

Sie haben sich in den letzten Monaten mehrfach über die Massnahmen des Bundesrats enerviert.
Ich bin für eine sofortige Öffnung. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin kein Corona-Leugner. Ich habe vor einem Jahr schon Anfang März, also noch vor dem Lockdown, meinen Betrieb komplett auf Corona umgestellt – wir wussten schliesslich nicht, was mit diesem Virus auf uns zukommt. Ich habe mich international erkundigt, Kontakte in Italien und Kroatien angerufen. Daraufhin habe ich Masken und Desinfektionsmittel gekauft und weitere Schutzmassnahmen umgesetzt. Ich habe mich im Frühjahr 2020 wirklich intensiv mit dem Virus beschäftigt und mich informiert – nicht auf irgendwelchen kruden Webseiten, sondern beim BAG und der WHO. Im Mai habe ich entschieden, die Übung wieder abzubrechen und der Entscheid hat mir Recht gegeben.

Aber Sie sind verpflichtet, die Massnahmen umzusetzen…
Natürlich. Meine Mitarbeitenden sind angehalten, Schutzmasken zu tragen. Aber ich stelle fest, dass die Leute müde sind. Sie mögen schlicht nicht mehr. Ich wünsche mir eine sofortige Öffnung – ohne Wenn und Aber.

Verlassen wir dieses heikle Thema. Das Elektrofahrzeug beschäftigt die Garagisten – es benötigt weniger Wartung als der klassische Verbrenner. Auf Ihre Branche kommt das autonome Fahrzeug zu – es wird schlicht weniger oft «krachen». Wie sehen Sie den Einfluss selbstfahrender Autos auf die Schweizer Carrossiers?
Elektromobilität oder auch Wasserstoff-Fahrzeuge bereiten uns tatsächlich keine Sorgen. Auch dort gibt es Carrosserieschäden. Wichtig ist einfach, dass die Mitarbeitenden die Aus- und Weiterbildungskurse besuchen, um diese Fahrzeuge reparieren zu können. Autonome Fahrzeuge werden uns bestimmt betreffen, aber ich bin überzeugt, dass es noch mindestens 15 Jahre dauert, bis diese wirklich einen Einfluss haben. Zuerst müssen die Gesetze auf das autonome Fahren angepasst werden und das dauert seine Zeit. Aber wenn diese autonomen Fahrzeuge in 15 Jahren hier sind, müssen wir bereit sein. 

Was heisst das konkret?
Beispielsweise können wir Umbauten für Büroinfrastrukturen im Fahrzeug anbieten. Ich kann mir auch vorstellen, dass die Kunden anrufen und ein Fahrzeug bestellen werden – für die Skiferien, fürs Büro oder für einen Familienausflug. Dann müssen wir die Fahrzeuge entsprechend einrichten. Vielleicht habe ich in 15 Jahren 100 Kapseln an Lager und klicke diese aufs Chassis drauf… Wir wissen alle noch nicht, wie das aussieht. Hier müssen wir als Verband so schnell wie möglich wissen, wohin dieses Schiff steuert.

Wie werden sich die Berufsbilder im Carrosseriegewerbe in den nächsten Jahren verändern?
Wir werden per 1. Januar 2022 eine neue berufliche Grundbildung einführen: den Carrosserie-Reparateur EFZ, eine dreijährige Berufslehre mit Schwerpunkt Demontage und Montage. Dieser Beruf ergänzt die vierjährige Ausbildung zum Carrosserie-Spengler. Kleine und mittlere Schäden werden wir in den nächsten Jahren noch reparieren können, aus grossen Schäden jedoch werden wirtschaftliche Totalschäden gemacht.

Diese Fahrzeuge gehen in den Osten und werden dort wieder zusammengeschustert…
Korrekt. Das ist etwas, was mich sehr ärgert. In einem Auto hat es Kältemittel, LCD-Bildschirme, und elektronische Komponenten. Waschmaschinen, Kühlschränke und Fernseher müssen von Gesetzeswegen in der Schweiz entsorgt werden – aber Autos dürfen einfach ins Ausland verschoben werden!

Sie sind nach der Fusion des VSCI mit der FCR seit dem 1. Januar 2021 erster Präsident eines gesamtschweizerischen Carrossierverbandes. Wo stehen Sie mit der Integration der beiden Verbände?
Das ist eine Frage, die mich sehr freut! Die Zusammenarbeit klappt sensationell. Die Kollegen aus der Romandie haben sich im Zentralvorstand sehr gut integriert. Früher hatten wir einen Röstigraben mit dem VSCI und dem FCR. Mit Carrosserie Suisse ist aus diesem Graben eine Brücke geworden.

Sie sind Präsident und gleichzeitig Inhaber eines Carrosseriebetriebs. Wie bringen Sie das unter einen Hut?
Bis zur Fusion waren etwa 50 Prozent meiner Arbeitszeit dem Verband gewidmet. Mit dem Zusammenschluss wären nochmals 30 Prozent dazugekommen. Glücklicherweise entlasten mich meine drei Vizepräsidenten sehr. Wir haben aus allen Sprachregionen einen Vizepräsidenten: Armin Haymoz für die Westschweiz, Marco Flückiger aus dem Tessin und Andi Stalder aus der Deutschschweiz. Das ist ein hervorragendes Gremium. Wir sind derzeit daran, unsere Strategie zu überarbeiten. Und hier stellt sich auch die Frage nach der Struktur: Entweder gibt es einen vollamtlichen Präsidenten oder wir setzen auf einen Präsidenten im Mandatsverhältnis und stärken die Geschäftsstelle. 

Sie haben schon vor einiger Zeit gesagt, dass Sie das Präsidium in den nächsten zwei oder drei Jahren abgeben möchten. Welche Ziele haben Sie bis dahin?
Im Zentrum steht ganz klar die neue Strategie, die ich noch umsetzen möchte. Wir erarbeiten diese Strategie gemeinsam mit einer Beraterfirma. 

Können Sie zu den konkreten Inhalten schon etwas sagen?
Ich möchte eine hochprofessionelle Geschäftsstelle. Der Verband muss geführt werden wie ein Unternehmen. Er muss agiler und schlagkräftiger werden. Wenn wir heute einen wichtigen Entscheid fällen, kann das bis zu einem Jahr dauern, bis dieser umgesetzt wird. Hier in der Firma klopfe ich auf den Tisch und dann machen wir das. 
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