Erfolgreich auf der Piste und in der Garage

Skirennfahrer & Automobil-Fachmann

Erfolgreich auf der Piste und in der Garage

29. April 2024 agvs-upsa.ch – Der Skirennfahrer Sandro Zurbrügg hat im Winter für Furore gesorgt, erste Weltcup-Punkte gewonnen – und schnuppert nun an der Weltspitze. Zuvor hat der 21-Jährige Berner Oberländer bereits in der Ausbildung zum Automobil-Fachmann EFZ geglänzt. Andy Maschek

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Sandro Zurbrügg wird auch in diesem Sommer wieder in seinem Lehrbetrieb temporär Hand anlegen. Fotos: AGVS-Medien

Es liegen sehr intensive Zeiten hinter ihm, als Sandro Zurbrügg Mitte April an seinem Wohnort Frutigen BE noch ein paar freie Stunden geniesst, ehe er für eine Woche in die Ferien verreist. In den Monaten, besser Jahren zuvor hat er durchgehend Vollgas gegeben. Auf den Skipisten, in der Berufslehre und für die Schweiz, da er im letzten Sommer zwischen den letzten Saisonrennen und dem Beginn des Schneetrainings noch die Rekrutenschule zu absolvieren hatte, jeweils mit einem nahtlosen Übergang.

Sandro Zurbrügg weiss seit Jahren, dass er als Skirennfahrer durchstarten will. Ebenso war für ihn klar, dass er nach neun Schuljahren eine Luftveränderung braucht und nicht mehr nur die Schulbank drücken will. Die Sportmittelschule Engelberg, die viele Skitalente besuchen, oder eine KV-Lehre waren für ihn deshalb kein Thema. Stattdessen strebte er eine handwerkliche Tätigkeit an. «Meine Eltern und ich haben dann mit der Suche einer Lehrstelle begonnen; im Idealfall in Frutigen, um die Reisezeit gering zu halten», erklärt der 21-Jährige. Bei der Firma Wandfluh, die seit Jahren Ausbildungsplätze für angehende Spitzensportler anbietet, wäre eine Lehre als Polymechaniker möglich gewesen. Aber dies war nicht sein Wunschberuf, da er schon immer Autofan war und sehen wollte, woran er arbeitet, statt Teile zu fertigen. «Wir schauten dann mit Familie Schmid von der Garage Schmid Waldegg, die wir durch den Skiklub kannten, ob eine Lehre als Automobil-Fachmann möglich wäre – und am Ende hat es geklappt.»

Schwieriges Zeitmanagement
Eine handwerkliche Lehre ist für Spitzensportler nicht alltäglich. Und so war es auch ein Abenteuer für den Lehrbetrieb, wie Paul Schmid, der Geschäftsführer des AGVS-Mitglieds Garage Schmid Waldegg, erklärt: «Es ist sehr aufwendig, denn man wusste ja nie, wann Sandro genau hier ist. Das Zeitmanagement hätte ich mir einfacher vorgestellt. Planen konnte man mit ihm kaum: Plötzlich gab es wieder eine Trainingspiste und arbeitete Sandro nicht am Dienstag, sondern am Donnerstag. Aber für uns hat das so gestimmt. Zudem hatten wir einen zweiten Lernenden – und Sandro lief quasi nebenbei mit. Er war einfach da, wenn er da war.» Wichtig war für Paul Schmid, dass im Betrieb alle den Sonderstatus Zurbrüggs akzeptierten: «Ich wollte nicht zu hören bekommen, dass jemand sagt: ‹Jetzt ist der schon wieder nicht hier.› Aber das hat bestens funktioniert».

Sandro Zurbrügg spricht rückblickend von einer strengen Zeit, in der er Schule und Ausbildung kombinierte. Nicht nur, wenn er für Schneetrainings oder Rennen unterwegs war, sondern auch im Sommer, wenn nach dem Garagenalltag der Kraftraum oder das Konditionstraining wartete. Immerhin sei ihm die Schule relativ leichtgefallen, so Zurbrügg, auch das Nacharbeiten von verpasstem Stoff oder das Nachholen von Prüfungen habe gut funktioniert. Schwierig sei eher die Praxis gewesen, da er im Winter teilweise nur drei Tage pro Monat in der Garage arbeiten konnte.
Wobei: Was heisst schon schwierig? Die Möglichkeit, die Lehre in vier statt drei Jahren zu absolvieren, musste er gar nicht beanspruchen. Stattdessen schloss er 2021 wie die «normalen» Lernenden nach drei Jahren ab – und dies mit der glänzenden Note 5,5!

Entsprechend schwärmt auch Garagist Paul Schmid von seinem einstigen Lernenden, von Qualitäten wie Disziplin, Biss oder Durchhaltewillen im Skisport wie der Lehre. «Ihm musste man einmal etwas sagen, danach nie mehr. Dann hat es geklappt, fachlich und menschlich. Beeindruckend war zudem, wie energisch und zielstrebig er ans Werk ging. Da hat man auch als Lehrmeister Freude.»

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Sandro Zurbrügg und sein Lehrmeister Paul Schmid von der Garage Schmid Waldegg in Frutigen BE.

Den Kopf einmal lüften
Die Wertschätzung beruht auf Gegenseitigkeit. Zurbrügg ist dankbar für die Chance, die er bekam, und weiss, «dass dies keinesfalls selbstverständlich ist». Er habe diese Lehrjahre in bester Erinnerung. «Es hat immer gutgetan, neben dem Skifahren etwas anderes zu haben, andere Gesichter zu sehen, in der Garage zu schrauben oder die Schule zu besuchen. Und so den Kopf zu lüften, Abwechslung zu geniessen.» Wertvoll sei auch gewesen, überbetriebliche Kurse jeweils in jener Gruppe zu absolvieren, die zeitlich besser passte. Und auf die Frage nach den grössten Schwierigkeiten antwortet er: «Das waren tendenziell schon die Pausen sowie die rennbedingten Abwesenheiten in der Schule, so dass ich viel selbst nachholen musste, um für die Prüfungen bereit zu sein.» Was ihm gelungen ist, wie sich rückblickend zeigt.

Bei all diesen Absenzen – Paul Schmid spricht von rund einem Jahr, das sein Lernender verpasste – war es irgendwie logisch, dass Zurbrügg fast nie jenes positive Selbstverständnis erlangte, das Spitzensportler gemeinhin als «Flow» bezeichnen und zu immensem Selbstvertrauen führt. Oder, wie er selbst sagt: «Wenn es nicht läuft, ist es extrem schwierig. Wenn es läuft, macht es extrem Spass.» Dasselbe treffe auch auf die Schule zu, wenn man mit dem Stoff im Rückstand sei und die guten Noten fehlten, sei es nicht einfach. «Aber wenn es funktioniert, ist alles etwas lockerer.»

Diese positive Dynamik strebt er nun auch im Skirennsport an, nachdem die vergangene Saison für ihn einen ganz speziellen Meilenstein beinhaltete. Im Dezember 2023 durfte er erstmals überhaupt ein Weltcuprennen bestreiten – und fuhr auf der selektiven Piste im französischen Val d’Isère im Riesenslalom mit Rang 17 gleich in die Punkte. Dasselbe Kunststück gelang ihm später in Österreich, in Schladming, mit dem 24. Platz. Damit bewies er das grosse Potenzial, das in ihm steckt und ihn zu einem Hoffnungsträger für die ­Zukunft macht.

In der Weltelite etablieren
Wie jeder aufstrebende Spitzensportler hat auch Sandro Zurbrügg Pläne, Ziele und Träume. Zuerst will der Markenkollege von Superstar Marco Odermatt (der Zurbrügg natürlich auch als Vorbild dient) seine Startposition im Europacup verbessern, um so früher oder später um den Sieg mitfahren zu können. Und die Chancen im Weltcup packen, erneut Top-30-Resultate realisieren und punkten. Danach folgt die Aufgabe, sich in der Weltelite zu etablieren; dies in seiner aktuellen Paradedisziplin Riesenslalom und auch im Super-G. Mit 21 Jahren sind Gedanken ans Leben nach dem Sport weit weg, dennoch sorgt die abgeschlossene Lehre für eine wertvolle Sicherheit und kann sich der Berner Oberländer grundsätzlich vorstellen, irgendwann einmal in den Beruf zurückzukehren. Er sagt: «Dann würde ich sicher Weiterbildungen besuchen, zumal sich der Beruf stetig weiterentwickelt und ein Wiedereinstieg sonst nicht einfach so möglich ist. Vor allem auch wegen immer mehr Elektrofahrzeugen.»

Noch ist das Zukunftsmusik. Zuerst wartet wieder einmal der Garagenalltag auf Sandro Zurbrügg. In den nächsten Wochen wird er bei seinem Lehrbetrieb arbeiten und ein paar Franken nebenbei verdienen. «Die Türen stehen für Sandro immer offen», sagt Paul Schmid über seinen einstigen Lernenden. «Hoffen wir, dass es ihm im Sport auch so gut läuft wie bei seinem Lehrabschluss!»
 

 

Das sagen die Experten

Welche Qualitäten sind nötig, damit Spitzensportlerinnen und -sportler gleichzeitig eine technische Berufslehre absolvieren können? Weshalb sind Lehrbetriebe besonders gefordert? Olivier Maeder, AGVS-Geschäftsleitung Bereich Bildung, gibt Antworten auf einige Fragen.

Ein angehender Spitzensportler wie Sandro Zurbrügg, der eine Berufslehre als Automobil-Fachmann abschliesst. Das tönt beeindruckend. Einverstanden?
Ja, definitiv. Das gibt es bei den technischen ­Autoberufen sehr selten. Im kaufmännischen ­Bereich ist dies eher bekannt, und es lässt sich auch besser mit der Ausbildung vereinbaren.

Welche Qualitäten zeichnen solche jungen Menschen in Ihren Augen aus?
Sie gehen konsequent ihren Weg. Sandro wollte neben dem Spitzensport auch einen Berufsabschluss. Und zwar nicht irgendeinen, er wollte einen Beruf in der Autobranche lernen und hat dies konsequent und mit Erfolg durchgezogen. Da braucht es einen starken Durchhaltewillen und Ehrgeiz.

Bei der Kombination Sport/Berufslehre sind häufige Abwesenheiten normal. Wo sehen Sie diesbezüglich die grössten Schwierigkeiten für einen Lernenden?
Dass er trotz der vielen Abwesenheiten noch den schulischen Stoff verarbeiten und genügend praktische Erfahrungen im Betrieb sammeln kann.

Aber auch der Lehrbetrieb ist gefordert. Was muss da speziell beachtet werden? Gibt es spezielle Anforderungen?
Es braucht die Bereitschaft eines Betriebes, sich auf ein solches «Abenteuer» einzulassen. Viel Verständnis und Flexibilität. Zudem muss der Betrieb eine gewisse Grösse haben, um kurzfristige Absenzen abfangen zu können.

Erfolgreiche Jungsportler setzen nach dem Lehrabschluss meist auf den Sport und kehren frühestens nach zehn oder 15 Jahren auf den gelernten Beruf zurück. Ist ein Wiedereinstieg im Autogewerbe nur im Bereich Kunden­beratung oder Verkauf möglich? Oder ist es trotz der ­rasanten technischen Weiterentwicklung auch im technischen Bereich denkbar?
Als Serviceberater und im Verkauf ist dies in meinen Augen sehr gut möglich. Im technischen Bereich kommt es schon darauf an, wie lange die Person nicht mehr in der Branche gearbeitet hat, da halt die Technologieentwicklung rasant vorwärts geht. Möglich ist alles, doch im technischen Bereich wird es für beide Seiten anspruchsvoller.

Bietet der AGVS für Wiedereinsteigende – nicht nur für Sportler – Kurse an?
Im Verkauf bietet sich da das zehntägige Basisseminar zum Automobil-Verkaufsberater resp. zur Automobil-Verkaufsberaterin an. Auch die beiden Lehrgänge für die beiden Berufsprüfungen mit eidg. Fachausweis, Automobil-Verkaufsberater und -Serviceberater sind mit der entsprechenden beruflichen Erfahrung für Wiedereinsteiger möglich.

Könnten solche Menschen für den Kampf gegen den Fachkräftemangel wertvoll sein?
Selbstverständlich, jede zusätzliche Arbeitskraft zählt heute. Zumal wir seit Jahren insbesondere im Automobilverkauf viele Quereinsteigerinnen und -einsteiger haben. Es gibt aber auch im Kundendienst Personen, die Erfahrungen im Kundenkontakt haben und trotz anderen Branchenkenntnissen wertvoll für uns sind.
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