Ein Tanz auf Messers Schneide

Der schnellste Automech der Schweiz

Ein Tanz auf Messers Schneide

27. Mai 2024 agvs-upsa.ch – Im Beruf kümmert sich Joel Burgermeister als «Mech» einer AGVS-Garage um die Autos der Kundinnen und Kunden. In der Freizeit um seinen Formel-4-Boliden, mit dem er letztes Jahr Bergrenn-Sieg an Bergrenn-Sieg reihte. Auch für diese Saison hat er hohe Ziele. Jürg A. Stettler

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Neben dem 100-Prozent-Pensum als Automechaniker bei einem AGVS-Mitglied schraubt der 33-Jährige danach auch noch in der heimischen Garage in Holz bei Egnach TG an seinem Boliden. Foto: AGVS-Medien

Es ist ausnehmend flach hier, unweit des Bodensees. Blühende Apfelbäume säumen den Weg im Thurgau. Dennoch soll hier jener Fahrer leben, der am schnellsten Berge hochdonnert? Wir lassen uns überraschen – und treffen Joel Burgermeister bei sich daheim in Holz bei Egnach TG. Der 33-Jährige kommt gerade von der Arbeit beim AGVS-Mitglied Garage Bressan, Arbon TG. Denn obwohl Burgermeister ein Vollblut-Motorsportler ist, absolviert er als Automechaniker ein 100-Prozent-Pensum bei der Garage Bressan. «Manchmal ist es schon eine rechte Belastung», gesteht er, und trotzdem strahlen Burgermeisters Augen. «Ich habe 2018 einmal eine Pause gemacht, aber sofort gemerkt: Mir fehlt was. Ich kann ohne Motorsport nicht sein», meint er zu uns fast entschuldigend. 

Motorsport von klein auf im Blut
Angefangen hat die Motorsport-Leidenschaft beim Thurgauer mit sechs Jahren, jedoch noch auf zwei Rädern. Vom kleinen Motocross-Töff wechselte er mit elf Jahren zum Kartsport und zeigte früh sein grosses Talent. Er gehörte schon bald zu den Stammgästen der Sulgener Kartbahn und nahm ab 2007 auch an nationalen und internationalen Wettkämpfen teil. 2009 qualifizierte er sich sogar für die Kart-WM in Ägypten und erfuhr dort, mit welch harten Bandagen international gefahren wird. «Ich war stets mit Herzblut dabei, wollte aber auch den technischen Hintergrund verstehen und nicht einfach reinsitzen und losfahren», erinnert sich der gelernte Autofachmann.

Als Schweizer, für den die nächste Rennstrecke wegen des Rundstreckenverbots selbst für simple Trainings oder Setup-Tests immer im Ausland liegt, ist Motorsport finanziell eine Herausforderung. «Ich habe mir das Ziel gesetzt, mein zugegeben kostspieliges Hobby selbst zu finanzieren über eigene Mittel und natürlich gerne auch Sponsoren», verrät Burgermeister. Darum fahre er Bergrennen; diese seien selbst für Privatiers noch finanziell stemmbar. «Hier kann man mit einem überschaubaren Budget einiges bewirken», erklärt er. Für 2024 ist noch nicht final entschieden, mit welcher Optik sein Tatuus F4 T014 Turbo das erste Bergrennen der Saison in Angriff nimmt. «Ich habe einen Designvorschlag für die Beklebung, aber bin noch in Verhandlungen mit Sponsoren», so der mehrfache Klas-sensieger. Auch die Sponsorensuche übernimmt er selbst; bei dieser Wirtschaftslage kein Zuckerschlecken.

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Mit seinem Tatuus F4 T014 Turbo errang Joel Burgermeister letztes Jahr Klassensieg um Klassensieg. Foto: Joel Burgermeister/zvg

Reifenfrage ist noch offen
Mehr Kopfzerbrechen als die Folienbeklebung seines Formel-Renners bereiten Burgermeister die Reifen. Seine bisherige Marke kann aktuell nicht die passenden Dimensionen liefern. «Ich habe noch Restbestände der letzten Saison, aber für eine komplette Bergsaison reicht es nicht mehr. Daher plane ich 2024 als Übergangssaison und will 2025 mit neuen Reifen wieder voll angreifen.» Und wieder leuchten seine Augen. Einfach mitzufahren ist nicht das Ding des wohl schnellsten Mechanikers der Schweiz: Letztes Jahr hat Joel Burgermeister Klassensieg um Klassensieg in der Zweiliter-Klasse geholt, alle sechs bestrittenen Rennen gewonnen und fünf davon in Rekordzeit. «Während der Fahrt blende ich die Gefahr aus. Ich muss in den gut zwei bis vier Minuten Fahrt die maximale Leistung abrufen. Brems- und Einlenkpunkte müssen sitzen, schliesslich fährt man viele Kurven blind an – da ist volle Konzentration gefragt. Es ist ein Tanz auf Messers Schneide, denn bei Bergrennen gibt es keine Auslaufzonen», erklärt Burgermeister ganz nüchtern.

Ein Tag für den Komplettaufbau
Trotzdem ist dosiertes Risiko gefragt, wenn auch in einem sehr engen Bereich. Schliesslich will der Renn-Crack nicht crashen, sondern sich verbessern – und siegen. «Beim 52. Bergrennen am Gurnigel wollte ich nach Bestzeit im ersten Lauf zu viel und touchierte im zweiten die Leitplanken. Zum Glück entstand kein zu grosser Schaden», bilanziert er und blickt auf seinen in Einzelteilen vor ihm liegenden Boliden und das hochfeste Monocoque aus Karbon, das ihm beim Crash Sicherheit  bietet.

Noch revidiert er den Renner und dessen Komponenten. Diese stehen in der heimischen Garage neben einem Ford Escort Cosworth mit Staubpatina: Auch für Burgermeister hat der Tag nur 24 Stunden. Daher kommt der Cosworth zugunsten des Formel-Boliden aktuell etwas zu kurz. 

«Komplett zerlegt brauche ich einen Tag, bis mein Tatuus wieder auf den Rädern steht», sinniert er, während er an einer Aufhängung eine Schraube nachzieht. «Ich habe schon neue Aerodynamik-Teile verbaut und dann beim Setup fürs Rennen feststellen müssen, dass es ein Rückschritt war», ergänzt Burgermeister. «Dann müssen die Teile eben wieder runter.» Eine Aufgabe, die er an den Rennwochenenden als One-Man-Team selbst stemmt. «Ich bin ein eher misstrauischer Mensch, daher mache ich vieles lieber gleich allein. Zudem kann ich höchstens die Unkosten übernehmen, aber keinen Lohn zahlen.» Im Bergrennsport sei man trotz der Konkurrenz am Berg dafür sehr kollegial unterwegs und helfe einander aus: eine eingeschworene Gemeinschaft, die sich schätzt.

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Aus dem Anhänger, in dem Joel Burgermeister auch eine Schlafkoje und eine Dusche eingerichtet hat, holt er die Front seines Boliden. Fotos: AGVS-Medien

Mehr Leistung für den Renner
Ein nicht ganz unwichtiges Teil fehlt beim munteren Komponenten-Puzzle in der Egnacher Garage von Joel Burgermeister aktuell noch: der Motor. «Der ist gerade in Italien bei den Spezialisten von LRM Motors. Auch als Automechaniker müsste ich viel Lehrgeld bezahlen, wenn ich zu viel selbst daran arbeite», gesteht er. Für diese Saison sollen noch ein paar PS mehr aus dem einstigen Abarth-500er-Aggregat gekitzelt werden. «Bislang sind es 320 PS aus den ursprünglich 1,4 Litern Hubraum. Ideal wären aus den heute 1,1 Litern Hubraum einige mehr.» Dies, obwohl die 320 PS beim einsitzigen Rennboliden auf lediglich 500 Kilo treffen. «An meinem Tatuus auf Formel-4-Basis wurde auch sonst bereits viel abgeändert, er hat auch breitere Räder», erläutert Joel Burgermeister. Zum Einsatz kommen zudem ein sequenzielles Sechsgang-Getriebe mit Paddle-Shift am Lenkrad und statt einer normalen Ölwanne eine Trockensumpfschmierung.

Anfang Juni soll es losgehen
«Abgaskrümmer, Turbolader und weitere Komponenten sind ebenfalls – nennen wir es einmal so – leicht angepasst», meint der schnelle Thurgauer schmunzelnd und wirft einen kurzen Blick auf sein E-Mail-Konto. «Eigentlich sollte ich News zum Motor aus Italien haben, aber die stehen noch aus.» Durch solche Verzögerungen lässt sich Burgermeister freilich schon lange nicht mehr aus der Ruhe bringen. Er gibt einfach seinerseits stets Vollgas. 

Aktuelles Ziel: ein Start an einem der bekanntesten Bergrennen Europas, dem Ecce Homo im tschechischen Sternberk Anfang Juni. Hier donnern seit 1905 Wagemutige über die seit 1981 regelmässig zur Europa-Bergmeisterschaft gehörende, kurvige und rund 7,8 Kilometer lange Strecke. «Die Strecke kenne ich von den letzten Siegen 2022 und 2023 gut, deshalb bin ich bezüglich Saisonstart zuversichtlich, auch wenn es mit dem Motor noch dauern sollte», verrät der «Mech», der sich auch anhand seiner Onboard-Videos oder durch Ablaufen und Abfahren der Strecke die wichtigen Punkte auf seinem Weg nach oben merkt. «Neben den vorhandenen Geländemarken setzen wir auch eigene Marken. Das hilft, um schnell zu sein.» Und die Chancen stehen gut, dass Joel Burgermeister dies auch 2024 sein wird.
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